Die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie
und Terrarienkunde (DGHT) und die Koordinationsstelle für
Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch) haben
die Europäische Sumpf-schildkröte (Emys orbicularis)
zum Reptil des Jahres 2015 ernannt.
Das Charaktertier mit dem besonderen Aussehen genießt viele
Sympathien in der Bevölkerung. Es besticht durch zahlreiche
gelbe Punkte oder Striche auf Rückenpanzer, Kopf, Hals und
Extremitäten.
Die einzige Schildkröte der Schweiz ist unter den
einheimischen Reptilien durch ihre amphibische Lebensweise
eine sehr ungewöhnliche Art.
Noch bis ins 18. Jahrhundert war diese Schildkrötenart im
Westeuropa häufig und wurde als eine während der kirchlichen
Fastenzeit erlaubte „Fischspeise“ massenhaft gefangen und
Länder übergreifend gehandelt. Leider sind ihre Bestand aber
in den vergangenen 200 Jahren stark zurückgegangen, sodass
die Art heute in vielen Regionen gefährdet oder gar
ausgestorben ist.
Das Vorkommen der Europäischen
Sumpfschildkröte in der Schweiz wird seit langem kontrovers
diskutiert. Während einige Fachleute den Standpunkt
vertreten, dass diese Art in der Schweiz nie
natürlicherweise verbreitet war, gehört sie für andere zur
heimischen Herpetofauna und ist erst in historischer Zeit
infolge des Verlusts an Lebensräumen und allenfalls der
Bejagung an den Rand des Aussterbens gebracht worden.
Tatsächlich ist die Informations- und Indizienlage rund um
ihr Vorkommen in der Schweiz verwor-ren und historische
Quellen zeichnen diesbezüglich kein klares Bild. Erschwerend
kommt hinzu, dass Europäische Sumpfschildkröten
möglicherweise bereits in prähistorischer Zeit, sicher aber
im Mittelalter als Handelsware in die Schweiz eingeführt und
mit hoher Wahrscheinlichkeit auch freigesetzt wurden.
Zusätzlich kompliziert wird die Situation durch die zwischen
1950 und 1980 an verschiedenen Orten durchgeführten
offiziellen Ansiedlungs- oder Wiederansiedlungsver-suche mit
Tieren ganz unterschiedlicher Herkunft, vermutlich ergänzt
durch zahlreiche pri-vate Freisetzungsaktionen, die sich der
Kenntnis der Fachwelt und der Kontrolle durch die
Ge-setzgebung entziehen.
Auf den Roten Listen der gefährdeten Reptilien der Schweiz von 1982 beziehungsweise 1994 wird die Europäische Sumpfschildkröte als „ausgestorben“ taxiert, bis sich Ende der 1990er-Jahre Hinweise darauf verdichteten, dass möglicherweise noch ursprüngliche Vorkommen an einigen Standorten in der Schweiz existieren. In der Roten Liste von 2005 wurde die Art folglich als „vom Aussterben bedroht“ („critically endangered“) eingestuft.
Die Europäische Sumpfschildkröte kann sich unter Schweizer Klimabedingungen nur in den tiefs-ten Lagen unterhalb 500 m ü. M fortpflanzen. Entsprechende Feuchtgebiete und Gewässer aus-reichender Ausdehnung findet sie noch vereinzelt entlang der großen Flüsse Rhone, Aare, Reuss und Rhein, im Berner Seeland sowie im Tessin. Der limitierende Faktor für die Etablierung einer reproduzierenden Population dürfte in vielen Fällen das Fehlen oder die eingeschränkte Erreich-barkeit geeigneter Eiablageplätze darstellen. Eine rund 300 ausgewachsene Individuen umfassen-de und sich selbständig vermehrende Population existiert aktuell in den Rhone-Auen im Kanton Genf. Regelmäßig werden Europäische Sumpfschildkröten zudem am Neuenburger- und Genfer-see sowie an verschiedenen kleineren Seen und Weiherkom-plexen im Deutschschweizer Mittel-land nachgewiesen. Genetische Studien haben gezeigt, dass es sich dabei nur vereinzelt um ein-heimische Sumpfschildkröten handelt. Der weitaus größte Teil der Populationen dürfte auf ausge-setzten oder eingeschleppten Tiere aus unterschiedlichen genetischen Linien basieren. Im Tes-sin findet die Art praktisch nur noch in der Magadino-Ebene im Mündungsbereich des Ticino in den Lago Maggiore ausreichend geeigneten Lebensraum und dürfte dort von den projektierten und bereits umgesetzten Renaturierungsmaßnahmen profitieren.
Die Europäische Sumpfschildkröte wird – wie alle anderen Amphibien- und Reptilienarten auch – durch das Schweizer Natur- und Heimatschutzgesetz von 1967 vollständig geschützt. Solange unklar ist, zu welcher genetischen Linie ein Tier gehört, gilt das für alle im Freiland angetroffenen Sumpfschildkröten. Bisher wurden in der Schweiz keine systematischen Maßnahmen ergriffen, um nicht-einheimische, genetisch unpassende Schildkröten aus der Natur zu entfernen. Je nach Standort werden aber zufälligerweise aufgefundene Sumpfschildköten solange in Gefangenschaft gehalten, bis eine DNA-Analyse Klarheit verschafft. Für nicht-einheimische Tiere wird dann ein definitiver Platz in Terrarienhaltung gesucht, während potenziell einheimische Schildkröten in eines der drei Wiederansiedlungsprojekte integriert werden.
Im Gegensatz zu anderen Reptilienarten
erfreut sich die Europäische Sumpfschild-kröte in der
Bevölkerung einer gewissen Popularität und stößt bei einem
weiten Kreis von Schildkrötenhaltern auf großes Interesse.
Entsprechend vielfältig und zahlreich waren und sind denn
auch die Bestrebungen, diese attraktive Schildkröte in
ver-schiedenen Gewässerkomplexen anzusiedeln oder
wiederanzusiedeln. Grundsätz-lich begrüßt die DGHT-Schweiz
als auch die karch diese Bemühungen, setzt sich aber
vehement dafür ein:
• dass die Aktivitäten nicht ziellos und unkoordiniert
erfolgen,
• dass die Naturschutzgesetzgebung und die
Bewilligungspflicht der Kantone und des Bundes
einschließlich der Richtlinien für eine Wiederansiedlung
aus-gestorbener Arten vollumfänglich respektiert werden,
• und dass eine fundierte Erfolgskontrolle langfristig
zeigt, ob sich die Europäi-sche Sumpfschildkröte im
Wiederansiedlungsgebiet selbstständig über mehrere
Generationen vermehren kann.
Aktuell laufen in der Schweiz drei Pilotprojekte zur
Wiederansiedlung der Art, zwei davon in der Westschweiz,
eines im Tessin. Erst die Ergebnisse der Erfolgskontrollen
dieser drei Projekte werden zeigen, ob weitere
Wiederansiedlungen getätigt werden sollten und wie die
Zukunft der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz
aussehen könnte.
Ausführliche Informationen über die Europäische
Sumpfschildkröte (Informationsbroschüre
(pdf 3.1 MB), Poster
und Flyer)
sowie druckfähiges Bildmaterial finden Sie zum kostenlosen
Download unter folgenden Links:
www.presse.dght.de
www.feldherpetologie.de
Gedruckte Flyer und Informationsbroschüren hält die DGHT
bereit. Diese können über die Geschäftsstelle per Email
(gs@dght.de) oder telefonisch unter 0049 621 86 25 64 90
angefordert werden.
Verantwortlich: Dr. Axel Kwet (Vizepräsident DGHT) & Dr. Beat Akeret (Präsident DGHT-Schweiz), Dr. Andreas Meyer (karch) & Dr. Sylvain Ursenbacher (karch) Fachlich unterstützt wird die alljährliche Wahl zum Reptil/Lurch des Jahres von den Kooperationspartnern NABU und BUND sowie von der Österreichischen Gesellschaft für Herpetologie (ÖGH) und der Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch)
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